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Eine unheilige Tradition - Die Schändung jüdischer Friedhöfe

Friedhofsschändungen. Mutwillige Schändungen jüdischer Friedhöfe mit der Absicht, dadurch die jüdische Gemeinschaft zu kränken, sind bereits im MA und vereinzelt wohl auch im 18. Jhdt. aus religiösen Gründen vorgekommen. Dies geht aus der Tatsache hervor, daß sowohl im MA wie im 18. Jhdt. geistliche und weltliche Fürsten es für notwendig hielten, durch besondere Verordnungen jüdische Friedhöfe in ihren Schutz zu nehmen und ihre Zerstörung oder Schändung unter Strafandrohung zu verbieten. So haben sich bereits im 12. Jhdt. die Päpste Calixt II., Eugen III., Alexander III., Clemens III., Coelestin III. und Innocenz III. für den Schutz der jüdischen Friedhöfe in Schutzbullen, die ausdrücklich auf Schändungen jüdischer Friedhöfe Bezug nehmen, ausgesprochen. In seinem Judenprivileg vom 1. Juli 1244 bestimmte ferner Herzog Friedrich II. von Österreich: "Wenn ein Christ einen Judenfriedhof zu verwüsten oder in ihn einzudringen sich unterfängt, so soll er nach Form Rechtens sterben, und all sein Eigentum, wie immer es heißen mag, fällt an die Kammer des Herzogs." Diese Bestimmung wurde sowohl von Herzog Ottokar (1254) als auch von König Rudolf von Habsburg (1268) in ihre Judenprivilegien übernommen. Ebenso wurde in den schlesischen, polnischen und litauischen Privilegien die Schändung jüdischer Friedhöfe nach dem Landesgesetz streng geahndet und die Vermögenskonfiskation für den Frevler beibehalten.

Als in der Regierungszeit Friedrichs des Großen in Breslau auf seinen Befehl aus Gründen der Hygiene ein neuer jüdischer Friedhof angelegt wurde, brachte man am Eingang dieses Friedhofes eine Tafel mit folgendem Spruch an:

"Wer diese Ruhestatt verletzt,
Dem wird durch's Beil ein Schlag versetzt,
Man haut durch's Beil die Hand ihm ab,
Der hier beschädiget das Grab."

Neben die Tafel war ein Block mit einer abgehackten Hand gemalt.

In der Zeit nach dem Weltkriege lebte der barbarische Frevel der Schändung jüdischer Friedhöfe in Deutschland wieder auf. Jedoch tragen die Friedhofsschändungen des 20. Jhdts. einen nicht unwesentlich anderen Charakter als die im MA und im 18. Jhdt. Sie entspringen in der Hauptsache politischen Motiven und sind als Folge der durch den Krieg verwilderten Moral und der durch nationalistische und völkische Kreise entfachten Judenhetze anzusehen. Denn von den 58 Friedhofsschändungen, die in Deutschland in den Jahren 1923-1928 bekannt wurden (davon allein 42 in 2 ½ Jahren), waren unter den in 14 Fällen ermittelten Tätern nur in einem Falle Kommunisten, dagegen in sieben Fällen Angehörige völkischer Verbände und in sechs Fällen Jugendliche, die noch die Schule besuchen. Alle übrigen Fälle konnten, obwohl von jüdischer Seite und teilweise auch von den Polizeibehörden hohe Belohnungen ausgesetzt wurden, nicht aufgeklärt werden. Besonders wüst wurde von den Friedhofsschändern am 22. Juni 1924 in Binswangen gehaust, wo 20 Grabsteine umgestürzt wurden. In Cöthen wurden im Mai 1925 30 Denkmäler zertrümmert, in Erfurt am 13. März 1926 95 Grabdenkmäler, in Moers in der Nacht vom 15. zum 16. April 1927 28 Grabsteine, in Köln in der Nacht vom 29. zum 30. Juli 1927 70 Grabsteine, in Frankfurt a.M. wurde am 29. September 1927 der jüdische Kinderfriedhof zerstört und in Essingen (Pfalz) schließlich wurden Ende Februar 1928 42 Grabdenkmäler umgestürzt und zerschlagen. Von seiten der jüdischen Organisationen in Deutschland, insbes. vom Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, der in seinem Organ, der "C.-V.-Zeitung", wiederholt das Gewissen der Öffentlichkeit gegen diese Schandtaten aufrief, wurden zu Beginn des Jahres 1927 Maßnahmen zur Abstellung dieser Untaten unternommen. So wurde vom C.V. an die Reichsregierung und an sämtliche Länderregierungen Eingaben gerichtet, die Maßnahmen der Regierungen veranlaßten. Außerdem wurde ein Aufruf von Wilhelm Michel: "Kampf gegen Gräber" in zahlreichen Sonderdrucken in ganz Deutschland verbreitet.

Nicht in das Kapitel dieser Friedhofsschändungen gehören die Zerstörungen jüdischer Friedhöfe, die im Zusammenhang mit Aufruhr und Krieg oder durch Abtragen von Steinen aus verlassenen Friedhöfen vorgekommen sind. Vorgänge, die sich im MA und bis spät in das 18. Jhdt. hinein ereignet haben. Gleichwohl sei auch hier darauf hingewiesen, daß u.a. bei der Vertreibung der Juden aus Speyer, Augsburg (1439), Nürnberg (1489) und Rothenburg o. T. die dortigen jüdischen Friedhöfe zerstört und jüdische Grabsteine zu Bauzwecken verwendet wurden. So findet sich einer dieser Steine z.B. in einer Wendeltreppe der St. Lorenzkirche zu Nürnberg.

(Jüdisches Lexikon, Berlin 1927)

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